Von Gellert bis Szechenyi
Budapest, die Weltstadt der Bäder auf der Sonnenseite der Alpen, erlebt als Mekka jahrtausendealter Badekultur derzeit eine beispielhafte Renaissance: Als Alternative zu den heimischen Heilbädern entdecken - nicht zuletzt bedingt durch die Auswirkungen des Gesundheitsreformgesetzes mehr und mehr Patienten aus Deutschland die verborgenen Heil-Badeschätze der Hauptstadt Ungarns, dem wohl größten Kurort der Welt.
Ungarns Hauptstadt Budapest zeigt seine Badeschätze Budapest, die Weltstadt der Bäder auf der Sonnenseite der Alpen, erlebt als Mekka jahrtausendealter Badekultur derzeit eine beispielhafte Renaissance: Als Alternative zu den heimischen Heilbädern entdecken - nicht zuletzt bedingt durch die Auswirkungen des Gesundheitsreformgesetzes - mehr und mehr Patienten aus Deutschland die verborgenen Heil-Badeschätze der Hauptstadt Ungarns, dem wohl größten Kurort der Welt.
Wie neueste Trendforschungen zweifelsfrei dokumentieren, begnügt sich der anspruchsvolle Kurgast künftig nicht mehr mit langweilig und bieder verstaubten, auf reine Prävention und Rehabilitation ausgerichteten Heilbädern. Nach dem Motto „Topfit = Jobfit" erwartet der potentielle Kururlauber neben der Kurierung seiner Beschwerden gleichzeitig auch individuelle Freizeitangebote, die neben dem Erhalt der Gesundheit auch noch Erlebnisspaß und Lebensfreude bereiten. Seit die Magyaren im August 1989 die ersten Löcher in den Eisernen Vorhang geschnitten haben, ist ihre Wirtschaft im Aufschwung. I n den vergangenen drei Jahren stieg das Bruttoinlandsprodukt jährlich um durchschnittlich rund 4,5 Prozent; Schätzungen für dieses und die kommenden zwei Jahre gehen weiter von bemerkenswerten Wachstumsraten um vier Prozent aus. Bereits jetzt ist Ungarn der Europäischen Union assoziiert, spätestens Anfang 2002 hofft man, Vollmitglied der EU zu werden.
Ein starker Motor, um das angestrebte Ziel zu erreichen, ist der Gesundheitstourismus. Gerade hier bietet die weltberühmte Bademetropole Budapest - mitten im Herzen Europas gelegen - als kulturhistorische Scheide zwischen Orient und Okzident eine wohl einzigartige Angebotsvielfalt. Dazu addiert sich noch der glückliche Umstand, dass Budapest infolge seiner äußerst günstigen wassergeologischen Gegebenheiten seit jeher zu den an thermal und heilquellenreichsten Städten der Welt zählt. Bereits vor 2000 Jahren benannten die auf dem Territorium der Hauptstadt Budapest lebenden Kelten ihre direkt an den Quellen des „Zauberwassers" gebauten Siedlung Ak - Inki , was im Wortsinn so viel wie „reich an Wasser" bedeutet. Später erkannten auch die Römer mit ihrer bädertechnischen Hochkultur die geheimnisvollen Heilkräfte der natürlichen Thermalquellen entlang der Donau. Sie nutzten die mineralreichen Wässer in ihren prunkvoll gestalteten Badekathedralen des Genießens mit Hilfe raffinierter Wasserleitungs- und Kanalisationssysteme.
Wachstumsmarkt Gesundheit
Der römischen Blütezeit folgte im 16./17. Jahrhundert die Türkenherrschaft. Dieses war gleichzeitig auch der Beginn einer neuen, richtungsweisenden Wasserkultur, diesmal jedoch unter osmanischen Vorzeichen. Die Muselmanen waren nicht nur begeisterte Anhänger von verschwenderischen Baderitualen, sondern auch hervorragende Baumeister. Charakteristische Merkmale der zwischen 1541 und 1686 errichteten Tempel der Wasserlust sind die bis in die heutige Zeit relativ gut erhaltenen Badehäuser mit ihren typischen Kuppeln aus Kupfer und dem als weithin sichtbares Wahrzeichen aufgesetzten mohammedanischen Halbmond. Als einzigartige Zeitzeugen türkischer Badekultur kann man die in der Nähe des Budaer Donauufers gelegenen, immer noch voll funktionsfähigen Badehäuser Rudas, Rae, Ssäszär und Kira'ly bewundern.
Ein Bademärchen aus 1001 Nacht
Wer beispielsweise in der altehrwürdigen Thermalwasserhalle im Badehaus Kira'ly, einer originalgetreu erhaltenen Reliquie frühosmanischer Baukunst aus dem Jahre 1565, ein orientalisches Baderitual in 40 Grad dampfendem Mineralwasser hautnah erleben durfte, für den ist das sinnebeflügelnde Badeerlebnis ein Glücksmoment von bleibender Erinnerung. „Wie ein Bademärchen aus 1001 Nacht", schwärmen nicht zu Unrecht begeisterte Badegäste aus Deutschland. Doch zum orientalischen Badezauber später mehr. Mit der fortschreitenden wissenschaftlichen Entwicklung und der Wiederentdeckung der medizinisch hydrotherapeutischen Heilwirkung der sehr mineralhaltigen Heil - und Thermalquellen begann schließlich die dritte und vorerst letzte große Epoche der „Bäderstadt" Budapest. Anfang 1900 erlebte die ohnehin bereits schon hoch entwickelte Badekultur mit dem Bau traumhaft schöner Freibäder direkt am Donauufer und den nordischen Impulsen finnisch-russischer Badeformen wie zum Beispiel Dampfbäder, Sauna und Tauchbäder etc., eine wahre Blütezeit. Hieraus entwickelte sich dann in Budapest und Umgebung die viel gerühmte Bäderdienstleistung im historischen Gewand, die bis zum heutigen Tage unvermindert anhält. Diese altehrwürdige Tradition der goldenen Badezeit setzt die Budapester Heilbäder AG in kommunaler Selbstverwaltung auch bei der Betreuung ihrer sechzehn wichtigsten städtischen Schwimm-, Strand- und Heilbäder erfolgreich fort . Dass sich hierbei die Spuren des Sozialismus nicht gänzlich verleugnen lassen, bleibt dem kundigen Fachauge nicht verborgen. Die sich dynamisch entwickelnde Privatwirtschaft bedauert diesen Umstand sehr, da die teilweise bitter nötigen Sanierungen bzw. erforderlichen Restaurierungen zur Erreichung westlicher Standards nämlich hochinteressante Investitionsmöglichkeiten bieten.
Auf Heilwasser gebaut
Prunk und zugleich Prachtstück ungarischer Badekultur ist zweifelsohne die weltweit geschätzte „Bäderstadt Budapest". Der Name Budapest basiert übrigens auf der Zusammenlegung der bis dato eigenständigen, links und rechts vom Donauufer gelegenen Stadtteile Buda und Pest im Jahre 1873. Die förmlich auf wertvollem, heilendem Thermalwasser schwimmende Bademetropole hat als pulsierende Lebensader insgesamt 123 natürliche Mineralquellen, deren heiße Ströme die Donau im Winter dampfen lassen. Zur Speisung der permanent wasserhungrigen Heilbäder werden täglich etwa 50 000 des gesundheitsfördernden „Zauberwassers" benötigt. Die unterirdischen mineralischen Wärmespeicher liefern ein sehr kalorienreiches Temperaturniveau, welches je nach geothermischem Quellenareal Wassertemperaturen von 21 °C bis sage und schreibe 76 °C erreicht. Das Wirkspektrum des Heilwassers beziehungsweise seine hydrothermale Wohltat ist sehr vielseitig und basiert neben dem thermischen Gewinn im Wesentlichen auch auf seinem natürlichen Mineraliengehalt. Neben Kalzium, Magnesium und Natrium- Hydrogencarbonat sind einige Heilbeziehungsweise Solewässer darüber hinaus auch noch jodhaltig, alkalisch sowie schwefelhaltig und teilweise sogar schwach radioaktiv. Die geothermische Nutzung der unerschöpflich sprudelnden Ressource zwischen Donau und Alpenland ist thermisch-balneologisch von unschätzbarem Wert, da sie nicht nur umweltfreundlich und klimaschonend ist, sondern gleichzeitig auch ökonomisch sinnvoll. Angesichts des unbegrenzt sprudelnden Energiestrahles aus den „Hot Rocks" (heißer Granit) als optimales Äquivalent zu anderen fossilen Energien bekommt jeder Kalorienexperte zwangsläufig glänzende Augen. Darüber hinaus steht die erneuerbare geothermische Energieversorgung jederzeit zur Verfügung, unabhängig von der Jahresoder Tageszeit sowie von den Klima und Witterungsbedingungen. Übrigens wird die geothermische Nutzung auch bei uns in Deutschland forciert, zum Beispiel in Bayern, bevorzugt im süddeutschen Molassehecken, einem der größten Thermalwasser-Aquifere Deutschlands.
Man spricht deutsch
Die Hauptstadt Budapest mit ihren 1,8 Millionen Einwohnern, bis vor einigen Jahren noch ein Geheimtipp für Kurpioniere, profitiert derzeit vom allgegenwärtigen Gesundheitsboom. Reisefreudige Wellnesstouristen und Kassenpatienten westlicher Nachbarstaaten nutzen hierbei selbstverständlich auch das nicht unbedeutende Preisgefälle. Die restriktive Handhabung bei krankenkassenärztlichen Kuranträgen bewirkt bei den immer kostenbewussteren deutschen Selbstzahlern ein Übriges. Daher verwundert es auch nicht, wenn ungarische Heilbäder in zwischen eine ernst zu nehmende Konkurrenz für den heimischen Kurbetrieb geworden sind. Stilvolle Kurdomizile, attraktive Kurhotels und mehr oder weniger prunkvolle Volksbäder bieten heute ein reichhaltiges Angebot physiotherapeutischer Standardanwendungen in heißen Thermalwasserbecken, speziellen Wannenbädern, Schlammpackungen, hydrotherapeutischen Streckbädern etc. Da das Budapester Heilwasser aus der Tiefe der Erde darüber hinaus auch noch ein unerschöpflicher Jungbrunnen ist, nutzt man die balneotherapeutischen Eigenschaften der förmlich aus dem Wasser sprudelnden, vielseitig wirkenden Mineralien auch in Form von Trinkkuren und In halationen. Wie auf den uralten Tafeln des Rudas- Bades zu lesen, wird dort dreierlei Quellwasser mit folgenden gesundheitsfördernden Wirkungen angeboten: „Juventhus" aus der Radiumquelle schützt vor Rheuma und stabilisiert den Blutdruck, „Hyngaria" aus der Mineralquelle bringt Linderung bei Magen- und Nierenbeschwerden und „Attila" aus der Schwefelquelle ist gut für Leber und Galle sowie für die Atmungsorgane. Inzwischen gibt es neben den traditionellen Badekurbehandlungen auch preisgünstige medizinische Dienstleistungen. Hierzu gehören Zahnbehandlungen und Schönheitsoperationen ebenso wie ganzheitliche Krankenhaus-Rundum-Versorgungen unter fachkundiger Betreuung deutschsprachiger Spezialärzte.
Osmanische Kulturdenkmäler
Die bereits eingangs erwähnten vier frühosmanischen Badehäuser Rudas, Rae, Ssäszär und Kira'ly aus dem 15. Jahrhundert sind einzigartige Baudenkmäler von historisch unschätzbarem Wert. Der Besuch wenigstens eines der türkischen Bäder aus der orientalischen Glorienzeit ist als Geheimtipp dringend zu empfehlen. Denn bereits beim Betrachten des Gebäudes übt die eindrucksvolle orientalische Spitzkuppelarchitektur auf den Besucher eine neugierweckende Faszination aus, die sich beim Betreten der monumentalen Badehalle mit ihrer achteckigen Raumkubatur (Tombour) und dem gewaltigen Deckengewölbe mit über zehn Meter Durchmessern nochmals verstärkt. Architektonische Details wie Naturstein- Sitznischen mit spitz zulaufenden Gurtbogen, unzähligen Rundbogensäulen, welche statisch mit total verrosteten Stahlverstrebungen miteinander verankert sind und die allgegenwärtige historische Patina auf dem von Alter gezeichneten, altehrwürdigen Gemäuer bewirken ihr Übriges. Das 36 °C warme Achteck- Thermalbecken mit 70 m 3 Inhalt über- spannt ein mächtiges Kuppeldach. Die kreisrunde, imposante Kuppel ist, für türkische Badehäuser typisch, wie ein Sternenhimmel mit Licht spendenden Glasaugen übersät. Der Sternenglanz der farbig funkelnden Glasöffnungen gibt der halbdunklen, in Wasserdampf gehüllten Badehalle noch zusätzlich eine geheimnisvolle Magie. „Genauso, wie es in phantasievollen Orient-Reisebüchern steht", schwärmt eine Besucherin voller Begeisterung. Besonderes Merkmal türkischer Gemeinschafts- Thermalbecken ist das naturbelassene Wasser ohne verfälsehende Filterung und Chlordesinfektion, so wie es bei uns aus hygienischen Gründen zwingend vorgeschrieben ist. Stattdessen werden über einen gewaltigen, frei ausmündenden Dauerzulauf stündlich etwa 10 bis 20 Prozent des Beckenvolumens kontinuierlich in die Baderotunde nachgespeist, respektive im regelmäßigen Badevieleck erneuert. Im Anschluss an die offizielle Betriebszeit erfolgt jedes Mal eine vollständige Entleerung und Reinigung des Beckens. Am darauf folgenden Tag wird das Badebecken erneut wieder mit natürlichem Thermalwasser gefüllt. Durch die oben genannte kontinuierliche Wassernachspeisung wird eine sukzessive Beckenwassererneuerung sichergestellt. Das historisch ergraute Raumambiente, die ständig dämonisch durch die Halle wabernden, samtweichen Dampfschwaden und die naturbelassene Thermalwasserwirkung, beim völligen Entspannen vor sich hindümpelnd, ergeben als Symbiose eine sinnebeflügelnde Badeatmosphäre, die man nicht beschreiben kann, sondern einfach selbst erleben muss. So ein berauschender orientalischer Badezauber im wohltemperierten Sinne und hautstreichelndem Element Wasser lässt jedes noch so verwöhnte Badeherz euphorisch höher schlagen. Wenn, ja wenn es da nicht unsere radikalen Hygienefetischisten gäbe. Die ständig in heimischen Gewässern eifrig auf der Pirsch befindlichen Weißkittel wollen nicht nur jeden fiesen Winzling im Keim ersticken, sondern möchten darüber hinaus mit wackelnd erhobenem Zeigefinger möglichst auch noch die liebevoll über Jahrhunderte konservierte Badetradition killen.
Baden in fließendem Wasser
Die türkische Bäderphilosophie kennt aufgrund mohammedanischer Religion nur fließendes Wasser und folglich weder eine Filterung noch chemische Depotdesinfektion. Für gläubige Muslime ist nämlich stehendes Wasser zum Baden und zur Körperreinigung ungeeignet. Daher bauten die Türken ihre Bäder „Ilica" (Therme) oder „Kaplica" (Heilbad) grundsätzlich über Quellen mit natürlich fließendem Thermalwasser. Deshalb sind die türkischen Thermal-Gemeinschaftsbäder - wie bereits erwähnt - auch bis heute nur mit „prähistorischem Naturwasser" gefüllt, selbstverständlich ohne zusätzliche Wasseraufbereitung. Na und? Dafür gibt es halt eine permanente, prozentual genau definierte Wassererneuerung. Auch die Räumlichkeiten sind nicht wie bei uns hygienisch steril gefliest. Bei der altehrwürdigen Bausubstanz sind die Jahrhunderte Nutzung selbstverständlich ebenfalls nicht spurlos vorübergegangen, daher gibt es allenthalben versiegelungsbedürftige Risse und Fugen sowie feuchte Flecken. Nur, sind das schon stichhaltige Argumente beziehungsweise plausible Fakten, um den unvergleichlichen Charme so einer einzigartigen Badekultur hygienisch gnadenlos zu sterilisieren beziehungsweise strangulieren?
Liebenswerte Unvollkommenheit
Wie sieht denn die Realität aus: Der durchaus anspruchsvolle Badegast erlebt das angenehm entspannend wirkende Heilwasser und genießt gleichzeitig die einzigartige Badeaura des ihn umgebenden, phantasiebeflügelnden Ambientes, ohne hierbei die Hyper-Hightech-Moderne zu vermissen. Die Frage, ob das Hygienerisiko in türkischen Bädern tatsächlich größer ist als in unserer multikulturellen, ach so cleanen Badescheinwelt, muss jeder für sich selbst aus seiner ganz persönlichen „Pool-Position" beantworten. Tatsache ist, wir können machen, was wir wollen, die absolute Sicherheit gibt es nie und nirgends, denn das Leben ist und bleibt nach wie vor lebensgefährlich. Des Weiteren sollte man berücksichtigen, dass es im alltäglichen Leben mit Sicherheit genügend Risiken gibt, die wir zum Glück nicht kennen oder bewusst beziehungsweise unbewusst, verdrängen. Zur Abrundung oder Ergänzung des Gemeinschaftsbades gibt es noch das Hamam mit seinen angegliederten Räumlichkeiten wie Dampfkammer, Depilationsraum und Ruhebereich. Im Gegensatz zur westlichen Wasservöllerei spülten sich die Nomaden im Reich der aufgehenden Sonne nach anstrengendem Wüstenritt den Staub mit warmem Wasser ab. Dabei verwendete man im fernen Osten gezwungenermaßen aus Wassermangel nur Zuber beziehungsweise reich verzierte Kupferschalen als köstliche Wasserspender. Folglich ist auch in dem Hamam Budapester Neuzeit diese islamische Edelpatina kulturhistorisch allgegenwärtig. Nicht viel anders ergeht es dem Betrachter der unzähligen im Fußboden eingelassenen rechteckig gefliesten Badewannen, in die das heiße Wasser in hohem Bogen strömt. Beim ersten Anblick glaubt man unwillkürlich einer Sinnestäuschung aufgesessen zu sein, da der luxusverwöhnte Badegast von modernem Badewannenkomfort eine ganz andere ästhetische Vorstellung hat. Auch wenn die unübersehbar auf den kümmerlichen Fliesenwänden installierte Technik mit gewaltigen Wasserarmaturen und den armdicken Versorgungsrohren für das westlich verwöhnte Luxusauge anfangs etwas gewöhnungsbedürftig erscheint, verflüchtigt sich die anfängliche Schockwirkung innerhalb kürzester Zeit wie von selbst. Denn ist erst einmal das Interesse geweckt, beeindrucken beim näheren Betrachten das historische Alter und überzeugende Funktionsdesign der archaischen Zeitzeugen- Unikate. Dass das Wasser, ob kalt oder warm, unbeeindruckt von den Befindlichkeiten der uralten Leitungen und musealer Armaturentechnik seinen funktionalen Zweck feuchtfröhlich erfüllt, steht - wie die eindrucksvollen Bilder dokumentieren - außer jedem Zweifel. Bis zu dem Zeitpunkt, wo die restaurierende Runderneuerung tatsächlich kommt, werden wohl noch einige Jahre verstreichen. Bis dahin bestaunen und bewundern wir weiterhin ehrfurchtsvoll die funktionierende, rustikal ausdrucksvolle Wohlfühl-Installation als ein faszinierendes Kulturerbe. Denn wie heißt es doch so treffend: Unvollkommenheit regt die Phantasie an.
Prunkvolle Badenostalgie im Geliert
Wer mondän in pracht- und prunkvoller Umgebung baden und/oder schwimmen möchte, kann dieses im berühmtesten aller Budapester Bäder, dem legendären Badetempel Geliert. Direkt unter Europas schönstem Belle-Epoque-Thermalbad mit Stil - Jugendstil - befinden sich die heißesten Quellen von Budapest. Nicht von ungefähr wurden sie von den Türken als „Purgatorium" bzw. „Jungfrauenbäder" bezeichnet. Das am Donauufer weithin sichtbar thronende Jugendstil-Thermalbad mit drei gewaltigen weißen Marmorkuppeln als Krone wurde 1918 gemeinsam mit dem gleichnamigen Hotel gebaut. Direkt vom Viersterne-Hotel (einer der vier Sterne steht für die Vergangenheit) erreicht der Gast die pompöse Badehalle über einen schmiedeeisernen, monoton vor sich hinrumpelnden Hotellift. Der jenseits von der Donau über die gewaltige Donau-Freiheitsbrücke flanierende Stadtbadbesucher betritt den sakralen Badetempel über ein großzügiges Rundbogenportal, um dann kurz darauf im erhaben prunkvollen Hallenfoyer vor Ehrfurcht zu erstarren. Hier verschmelzen nämlich orientalisches und römisches Dekor, Jugendstil ergänzt sich mit Barock. Gewaltige rote Marmorsäulen, unzählige Heilung symbolisierende Großskulpturen, Wandverkleidungen aus kunstvollem Keramikmosaik, edle Naturstein-Fußbodenbeläge und darüber riesige Licht spendende Glas- Gewölbedächer, herrlich bunt bemalt mit Geschichtsmotiven, um nur einige der eindrucksvollsten Gestaltungselemente des Gellert-Bades zu nennen. Alles zusammen ergibt eine unnachahmliche Traumkulisse, die jeden Badegast unweigerlich in ihren Bann zieht, der bereit ist, sich darauf einzulassen. Der Eintrittspreis ist für Hotelgäste frei, ansonsten beträgt der Badepreis 1.800 Forint, entsprechend 13,70 DM. Anschließend führt der Weg vom Empfangsfoyer direkt i n die imposante, etwa 45 Meter lange und 14 Meter breite zweietagige Wartehalle, ebenfalls mit farbigem Kuppeldach und reich verziertem Keramik-Wandschmuck. Eines der Hauptbadeattraktionen ist zweifelsohne die Schwimmhalle, in deren flachem Beckenbereich 84 im Boden symmetrisch angeordnete Luftsprudel-Düsenauslässe das Badewasser in bestimmten Zeitintervallen zum Kochen bringen. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang die Tatsache, dass man bereits 1934 die heute als modern geltende Luft-Bodensprudeltechnik in dem mit Walzblei wasserdicht erstellten Schwimmbecken vorgesehen hatte. Die Kompressor-Luftleistung beträgt übrigens 250 m3 / h.
Badeschmuckstücke des Hauses
Das imposante Schmuckstück des Hauses hat darüber hinaus selbstverständlich noch mehr interessante Besonderheiten zu bieten. Beispielsweise eine auf unzähligen, keramisch kunstvoll ornamentierten Säulen ruhende Galerieempore. Logenartig über das Schwimmbecken ausladende Balkone mit vergoldetem Geländer bieten eine faszinierende Blickbeziehung in das stets rege Badegeschehen. Ein imposantes, die ganze Halle überspannendes Glasdach sorgt einerseits für natürliches Tageslicht, andererseits für eine optisch wirkungsvolle Sonnendurchflutung. Am Hallenende gibt es außerdem noch ein attraktives Thermalsitzbad mit mehreren als Tierskulpturen getarnten Dauerzuläufen, aus denen permanent angenehm warmes Wasser fließt. Dass man in Ungarn, dem berühmten Schmelztiegel phantasievoller Keramikkultur, den Entstehungszyklus der Handkeramik aus Erde, Wasser und Feuer absolut perfektioniert hat, erkennt selbst ein blutiger Laie anhand der allgegenwärtigen Ornamentik an Wänden, Säulen, Decken etc. Selbst die Verkleidung der statischen Heizung sowie auch die Ein- und Auslässe der mechanischen Lüftung hat man unter Berücksichtigung thermischer und aerodynamischer Aspekte fachkundig aus farbig glasiertem Ton modelliert.
Die Seele baden lassen
Das von großflächigen Sonnenterrassen eingerahmte, farbig eindrucksvoll geflieste Gellert-Freibad „Blaue Lagune" ist das älteste Wellenfreibad Europas. Es steht mit seiner gestalterischen Architektur, Attraktionsvielfalt sowie den unzähligen Wasserspielen dem Hallenbad um nichts nach. Für die Kinder gibt es eine faszinierende Badelandschaft, bei der das Spaßelement Wasser ständig spritzt, blubbert und rauscht. Darüber hinaus erlaubt die herrliche Lage der Freibad-Dachterrasse einen atemberaubenden Panorama-Rundumblick vom Fuße des mächtigen Gellertberges über die faszinierende Jugendstilarchitektur des Gellert-Heilbades bis hinunter in die nur wenige Schritte entfernte stahlblaue Donau, in der sich die imposante Skyline der Hauptstadt Budapest in ihrer vollen Schönheit spiegelt. Höhepunkt und ultimatives Muss ist der Besuch des Gellert-Badeheiligtums. Im Zentrum des äußerst attraktiven Heilbäderbereiches befinden sich die nach Damen und Herren getrennten Gemeinschaftsbäder mit naturbelassenem Thermalquellwasser. Auch hier wiederholt sich ein weiteres Mal eindrucksvoll die grenzenlose Gestaltungsmöglichkeit traditioneller Architekturkeramik. Die den mächtigen Kuppelraum ausfüllenden, prachtvollen Keramik-Reliefapplikationen und die überwältigende Dekorationstechnik mit den von Hand aufgetragenen Glasuren, bei denen man farbenprächtige Pigmente aus Kobaltoxiden in Verbindung mit zusätzlichen Gold- und Metalleffekten verwendet, gegen eindrucksvolle Zeugnisse ungarischer Handwerkstradition in höchster Vollendung. Das seit Jahrhunderten gepflegte Badezeremonium vollzieht sich immer nach demselben Ritual. Vor dem lautlosen Betreten der heiligen Hallen erhält man als so genannten Mini-Lendenschurz ein heißes, Sorry, weißes Lätzchen. „Vermutlich rein symbolisch, damit man das Elend nicht sieht", meinte daraufhin ein voyeuristisch augenzwinkernder Landsmann. Ob die Frauen statt des umgegürteten Schamfetzens anderweitig geschürzt sind, entzieht sich aufgrund der moralischen Geschlechtertrennung leider meiner Kenntnis. Endlich in der prunkvollen Thermalwasserhöhle angelangt, liegt man wenig später reglos im wohligen 38 °C warmen Marmorpool. Beim aufmerksamen Bestaunen des einzigartigen Raumambientes mit seinen überschwänglichen Ornamenten aus türkisfarbenem Keramikmosaik, untermalt vom monoton plätschernden Wasserfluss aus den Dauerzuläufen werden bereits nach wenigen Minuten die Augen schwerer und schwerer. Unaufhaltsam entgleiten die Gedanken im Sog des heißen Thermalwassers - dann tauchen Körper und Seele träge ab. Anschließend geht es direkt ins aufregende Heißluftbadegeschehen. Dort kann man nämlich in grottenhaft runden Kammern entweder bei lauen 60 Grad Saunaschwitzen oder im beliebten Dampfbad dicht nebeneinander, fast auf Tuchfühlung stehend den heißen, kalkigen Nebel einatmen. Geschwefelt, durchgedampft wie ein ausgewaschener Schwamm, aus allen Poren qualmend folgt dann als Vorstufe zur Hölle die obligatorische Massagetortur in spartanischen Räumlichkeiten, deren einziges Interieur sozialistische Pritschen mit Leinentüchern sind. Dickbäuchige Schnurrbart-Magyaren legen als muskulöse Sadisten mit Brachialgewalt fachkundig brutal Hand an. Zielsicher bis weit über die Schmerzgrenze. „Warum nur diese Folterung?" fragt sich der ängstliche Leser. Die plausible Antwort: Weil es so schön ist, wenn der Schmerz nachlässt! Nach dem glücklich überstandenen Körperpflegeritual lässt man beim anschließenden wohlverdienten Nichtstun den einzigartigen Sinnesgenuss unzähliger Eindrücke noch einmal gedankenversunken reflektieren.
Historisches Technikunikat
Das Geliert-Thermalbad vermittelt aufgrund seiner einzigartigen Symbiose aus historischer Badekultur und architektonisch beeindruckender Baukunst sowohl außerhalb des Gebäudes als auch im Inneren ein Badeerlebnis, das zu Recht seinesgleichen sucht. Wem darüber hinaus das Glück vergönnt ist, die uralte Technik in den weit verzweigten Kellerverliesen zu bestaunen, der weiß danach mit Sicherheit, was funktionale Improvisationskunst bedeutet. Bei dem hochinteressanten und äußerst informativen technischen Exkurs sollte man auf keinen Fall versäumen, auch die unterirdischen Thermalquellen zu besichtigen. Denn es ist schon ein sehenswertes Erlebnis, den eruptiven Heißwasserfluss in den höhlenartigen, mit heißem Wasserdampf erfüllten Felskatakomben im Schweiße des eigenen Angesichtes hautnah mitzuerleben. Das gesundheitsfördernde Heilwasser wird weder für die hydrotherapeutische Behandlung noch für die mit Dauerzulauf versehenen Thermal-Gemeinschaftsbäder physikalisch oder chemisch aufbereitet beziehungsweise nachbehandelt, sondern das warme Quellwasser bleibt grundsätzlich naturbelassen. Das Beckenwasser des Hallen- und Freibades wird hingegen, so wie auch bei uns üblich und gesetzlich zwingend vorgeschrieben, mechanisch gefiltert und anschließend chemisch desinfiziert. Als in die Jahre gekommener Fachmann stellt man bei der in Augenschein genommenen Bädertechnik plötzlich mit Erstaunen fest, dass die in Betrieb befindliche Filtertechnik noch aus Zeiten der Firma Cilli-Chemie stammt. Nach vielen Jahrzehnten Betriebszeit zeigen sich an den Filtern lediglich einige Korrosionserscheinungen, die man mit Hilfe von „Stahlblechflicken" dicht geschweißt hat. Das gleiche Korrosions- Schicksal hat, wie die Staklatiten eindrucksvoll dokumentieren, inzwischen auch die weit verzweigte Schwimmbadverrohrung aus Edelstahl ereilt.
Mit ältester Wellenmaschine
Ein technisches Denkmal besonderer Art ist die derzeit wohl älteste funktionsfähige Wellenmaschine für das Außenschwimmbecken. Die so genannten Holzpaddeln in den einzelnen Wasserkammern werden wechselseitig dard installiert und bei den bestehenden Anlagen, insbesondere der Schwimmbadtechnik, ist man teilweise schon dabei, sich behutsam dem westlichen Niveau anzupassen.
Im Bereich der Filtertechnik legt sich die staatliche Betreibergesellschaft nicht auf ein bestimmtes Aufbereitungssystem fest, sondern setzt flexibel mehrere verschiedene Schwimmbadwasser-Aufbereitungsverfahren ein. So gibt es neben den bereits erwähnten und bestens bewährten Mehrschichtfiltern auch noch das Kieselgur-Anschwemm-Filterfahren und ein so genanntes Vakuum-Niederdruck- Filtersystem. Hierbei fließt das abgebadete Rohwasser zunächst in eine Überlaufstauebene und durchströmt anschließend im Vakuumprinzip mit 20-30 m/h Wassergeschwindigkeit die Sandfilterschicht. Von dort wird das Reinwasser mit Hilfe von Filterpumpen und entsprechender chemischer Nachbehandlung (Chlorung und pH-Wert-Korrektur) zum Schwimmbeziehungsweise Badebecken zurückgefördert. Diese Filtertechnologie ist bei uns nicht üblich, wird aber in Ungarn bei Neuanlagen durchaus erfolgreich eingesetzt. Im Schwimmbad-Neubaubereich entsprechen die Beckenhydraulik, die eingesetzten Materialien für die Verrohrung, die Werkstoffe der Filterpumpen ebenso wie die Wasserattraktions-Technologie nebst dem digitalen Gebäudemanagement (DDC-Systeme) weitgehend modernem westlichen Standard. Nach der hochinteressanten Zeitreise durch jahrhundertealte orientalische Badekulturen bis in die ungarische Moderne ist mit einer einzigen Schlusszeile alles gesagt: Im Osten geht die Bade-Sonne auf!
Christoph Saunus
Sanitär + Heizungstechnik 3/2001